Du musst dein Leben ändern.

Rainer Maria Rilke
Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

In seiner großen Untersuchung über die Natur des Menschen betreibt Peter Sloterdijk Märchen-Kritik: Als Kritik des Märchens von der Rückkehr der Religionen könnte man seine Thesen verstehen. Dennn nicht die Religion kehrt zurück. Es verschafft sich vielmehr, so belegt Peter Sloterdijk in seiner weit ausgreifenden Studie, etwas ganz Fundamentales in der Gegenwart Raum: der Mensch als Übender, als sich durch Übungen selbst erzeugendes und dabei über sich hinausgehendes Wesen. Rainer Maria Rilke hat den Antrieb zu solchen Exerzitien zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Form gefaßt: »Du mußt dein Leben ändern.«

In seinem Plädoyer für die Ausweitung der Übungszone des Einzelnen wie der Gesellschaft entwirft Peter Sloterdijk eine grundlegende und grundlegend neue Anthropologie. Den Kern seiner Wissenschaft vom Menschen bildet die Einsicht in die Selbstbildung alles Humanen. Die Aktivität der Individuen wie der Kollektive wirkt unablässig auf ihn und sie zurück: die Arbeit auf den Arbeiter, die Kommunikation auf den Kommunizerenden, die Gefühle auf den Fühlenden …

Es sind die ausdrücklich übenden Menschen, die diese Existenzweise am deutlichsten verkörpern: Bauern, Arbeiter, Krieger, Schreiber, Yogis, Rhetoren, Instrumentalvirtuosen oder Models. Ihre Trainingspläne und Höchstleistungen versammelt dieses Buch zu einer Gesamtschau der Übungen, die erforderlich sind, um Mensch zu sein und zu bleiben. (Suhrkamp)